„Wenn so unterschiedliche Wissenschaften wie Anthropologie, Philosophie, Pädagogik, Ökonomie, Politologie, Theologie und Psychologie das Wertkonzept jeweils als basales Konzept bezeichnet wird, so ist – nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlichen Historie jeder dieser Einzelwissenschaften und ihrer theoretischen, empirischen und methodischen Ansätze – wohl kaum zu erwarten, dass Konsens über einen verbindlichen Wertbegriff hergestellt werden kann.“
(Herrmann/Lantermann: Persönlichkeitspsychologie, 1985, S.401)
Den Begriff Werte allseits verbindlich zu verstehen, ist fraglos ein schwieriges Unterfangen. Aber so ergeht es ziemlich jedem Begriff, der sich auf nicht Materielles bezieht [und selbst bei solchen gehen Interpretationen zuweilen sehr auseinander]. Dennoch ist Begriff alles andere als ‚unverbindlich‘, je nach dem, welche Perspektive man zu ihm einnimmt.
Eine grundsätzliche Unterscheidung in der Bedeutung des Werte-Begriffes kann zum einen durch die Betrachtung des „Wert als Gut“ und zum anderen des „Wert als Maßstab“ vorgenommen werden. Die erste Bedeutung ist eher ökonomisch und lässt sich mit utilitaristischen Modellen vergleichen. Wert als Gut impliziert immer ein Objekt, dem ein bestimmter Wert zugesprochen wird, oder das einem anderen Objekt vorgezogen wird. Die Werterwartungstheorien basieren auf diesem Verständnis von Wert als „Bedeutung eines Objektes“.
Die zweite Beschreibung lässt eher auf eine Orientierung zur Beurteilung von und Entscheidungsfindung in Situationen schließen. Werte sind hier nicht mit Zielen zu verwechseln, vielmehr entscheiden Werte darüber, welche Handlungsweisen für ein Individuum in einer bestimmten Situation positiv oder negativ bedeutend sind.
Verknüpfen wir Werteverständnis und Handlungsorientierung miteinander, dann treffen wir auf den Begriff der Tugend. Im griechischen bedeutet „areté“ (Tauglichkeit, Tugend) soviel wie „wesensgemäße Bestheit einer Sache oder einer Person“. Mit aretê wird das Handeln des Menschen an einen sittlichen Maßstab geknüpft – „areté“ dient als höchste Orientierung bei der Wahl des Handelns.
Historisch besonders interessant sind die Kardinaltugenden, zeigen sie doch eine gewisse Hierarchie im „Portfolio“ der Eigenschaften eines Menschen auf, die gesellschaftlich oder individuell besonders erwünscht sind. Wir wollen die Kardinaltugenden in unserem Verständnis als Idealwerte begreifen – quasi als Rahmen, in dem sich der weitere Wertekanon ausbildet. Der Kreis bestimmter Idealwerte hat, geschichtlich betrachtet, erhebliche Veränderungen erlebt:
Plato: 427 v. Chr – 347 v. Chr., setzte Mäßigkeit (sophrosyne), Tapferkeit (andreia), Weisheit (sophia) und Gerechtigkeit (dikaiosyne) als Kardinaltugenden.