Archiv für den Monat: Juli 2023

2023 – neu: 6. Theme + Scheme = Meme

Es ist an der Zeit, die Theorie des Integralen Bewusstseins in ihren wesentlichen Facetten zu beschreiben. Das Material, das sich hierzu im Web und in der Literatur findet, ist derart umfangreich, dass die Suche nach einem passenden individuellen Zugang ein wenig anmutet wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Mir persönlich hat diese Video-Zusammenstellung einen sehr guten Überblick ermöglicht. Gerne empfehle ich sie als tiefergehenden Theorieeinstieg weiter, hier daher nur das, was ich für meinen späteren Brückenschlag zwischen Wilber und Frankl benötige.

Die Integrale Theorie von Ken Wilber ist eine umfassende und holistische Theorie, die versucht, alle Aspekte des menschlichen Lebens und der Realität zu integrieren. Wilber argumentiert, dass es vier grundlegende Perspektiven [vier Quadranten] gibt, aus denen ‚Welt‘ betrachtet werden kann: die innere und äußere Perspektive des Individuums sowie die kollektive innere und äußere Perspektive der Gesellschaft.

  • Die Innere Perspektive des Individuums (Innenwelt der Person), adressiert die Werte, Haltungen, Einstellungen, Gefühle, Gedanken, Wahrnehmungen, Empfindungen, Motive einer Person – letztlich ihr ‚Selbstkonzept‘.
  • Die Äußere Perspektive des Individuums (Innenwelt der Person ins Außen übertragen) nimmt Wissen, Fähigkeiten, Verhaltens- und Handlungsmuster, verbale und nonverbale Kommunikationsformen, den Lebens-/Erziehungs-/Führungsstil usw. einer Person in Augenschein.
  • Die Innere Perspektive des Kollektivs (konkrete Außenwelt als Summe aller Innenwelten und ihrer Vernetzungen) fokussiert unter anderem auf den Umgang miteinander, den kulturellen Hintergrund, Sprache, geteilte Werte.
  • Die Äußere Perspektive des Kollektivs (abstrakte Außenwelt) betrachtet unter anderem die Strukturen im sozialen System, Technologien, Produkte und Dienstleistungen, Formen sozialer Beziehungen, Prozesse, Gesetze.

In jedem dieser vier Quadranten finden sich unterschiedliche, sogenannte Entwicklungslinien [siehe dazu die oben empfohlene Videoreihe], deren Auswahl kontextuell vorgenommen wird. Durch verschiedene Wissenschaftler wurden unter anderem erforscht: die kognitive, die emotionale, die ethisch-moralische, die ästhetische, die zwischenmenschliche, die spirituelle Entwicklungslinie und einige weitere mehr. Pragmatisch verweisen Entwicklungslinien auch auf Rollen, die Menschen zum Beispiel beruflich einnehmen. Erst kommt der Schüler, der sich für ein Fach interessiert, dann ein Lehrling, dann ein Geselle, dann der Meister usw. – mit jeder Rollenentwicklung hat sich eine Person in aller Regel auf verschiedenen Linien weiterentwickelt. 

Oder: Begleitet ein Therapeut zum Beispiel einen Klienten, der einen Sterbehilfewunsch äußert, indem er mit diesem Gespräche über bestehende Werteverwirklichungsmöglichkeiten führt, so würden diese Gespräche den Quadranten ‚innere Perspektive des Individuums‚ adressieren. Würde der Klient nach diesem Gesprächen seine Einstellung zum Thema Sterbehilfe überdenken, weil er einen von ihm bislang nicht wahrgenommenen Sinnimpuls erfühlt hat, so birgt eine diesem Impuls folgende Einstellungsmodulation in seinem Sterbehilfewunsch das Potenzial für ein neues Niveau auf der Entwicklungslinie ‚Wertebewusstheit‘.

Der Therapeut könnte zudem auch die ‚Äußere Perspektive des Individuums‘ betrachten und dabei einen Blick auf die Entwicklungslinie ‚kognitives Lernverhalten‘ des Klienten werfen. Sollte er dabei aus den Erzählungen und gegebenenfalls verfügbaren Dokumenten des Klienten herauslesen können, dass dieser sich in seinem Leben immer wieder intensiv und selbstmotiviert mit komplexen Sachverhalten auseinandergesetzt hat, so könnte dies ein Hinweis dafür sein, dass das vorgetragene Sterbehilfeanliegen auf einen autonomen, rational geprägten Lebensstil verweist und zum Beispiel nicht mehr ein Punkt auf der Linie ist, wo ein Mensch aus einem eher unreflektierten negativen Affekt heraus seinem Leben ein Ende bereiten will.

Würde der Therapeut nun nicht versäumen, auch die ‚Innere Perspektive des Kollektivs‘, so wäre ein Aspekt über den er mit dem Klienten spräche vielleicht der Reifegrad des gesellschaftlichen Umfeldes, in dem der Klient lebt. Hier wäre womöglich die ‚moralische‘ Entwicklungslinie des Kollektivs und ihr Umgang mit individuellen existenziellen Themen wie Leid, Tod oder Abschied ein Aspekt. Gäbe der Klient zum Beispiel zu verstehen, dass sein Umfeld das Thema Sterbehilfe tabuisiert und ein offener Diskurs dort erschwert ist, ließe sich durch eine therapeutische Unterstützung, die auf eine Vergrößerung der sozialen Kontakte hinwirkt, eine bessere Kommunikation auf Augenhöhe erreichen.

Und letztlich könnte der Therapeut auch den Quadranten der ‚abstrakten Außenwelt‘ ansprechen. Hier könnte angeschaut werden, wie sich auf der Entwicklungslinie des ‚medizinischen Fortschritts‘, der dem Klienten vielleicht nicht hinreichend bewusst ist, eine neue Perspektive erschließen ließe.

Kontextbezogen führt ein ‚integraleres Denken‘ also stets zu einer ersten Vergrößerung der Komplexität durch Anschauung der Vielzahl relevanter Entwicklungslinien. Und für jede dieser Entwicklungslinien kann nun ein Gespräch über die Entwicklungsebene [der Wertekontext] vorgenommen werden. [Spätestens an dieser Stelle treten meist die Kritiker auf, die die Wilbersche Theorie bereits als zu abstrakt, komplex und anwendungsunfreundlich bewerten. Jedoch, bei Themenstellungen die in ihrer Folgenabschätzung als riskant, existenziell, ressourcengefährdend oder irreversibel gelten, bietet die Investition in eine Methode, die die ohnehin gegebene Komplexität adäquat abbildet, einen angemesseneren Zugang zur Bewältigung als zum Beispiel leichtgängige und viele Einflussfaktoren ausblendende Wenn-Dann-Logiken.]

Nun also erste Worte zu den Entwicklungsebenen: In seinen Schriften schlägt Ken Wilber oftmals eine Brücke zu  den Forschungsergebnissen des New Yorker Psychologieprofessors Clare W. Graves. Das nach ihm benannte Graves Value System ist eine Theorie der menschlichen Entwicklung. Sie beschreibt, wie Menschen im Laufe ihres Lebens verschiedene Denk- und Verhaltensmuster entwickeln und wie sich diese Muster im Kontext ihrer kulturellen und sozialen Umgebung verändern. Der zentrale Transporteur neuer Muster ist dabei die Kommunikation.

Werden Ideen, Gedan­ken und Infor­mations­muster durch Kommu­nika­tion verbreitet und reproduziert, so kann dies als kul­tu­rel­les Pendant zum bio­chemischen Gen aufgefasst werden. Zusammengefasst könnte man von kulturellen Strukturen oder von Schemata sprechen, die sich mittels Kommunikation re­pro­duzieren, mit der Umwelt in­ter­agie­ren und sich dieser anpassen. 

Graves argumentierte, dass sich die menschliche Entwicklung solcher Schemata je nach den auf das Individuum einwirkenden Themen dynamisch von einer Ebene zu einer neuen Ebene vollzieht. Jede neu entwickelte Ebene und der mit ihr verbundenen neuen spezifischen Art des Empfindens, Denkens, Fühlens und Handelns gründet letztlich auf einem erweiterten Werte-System. Ein Werte-System, das alle Werte davor entwickelter Ebenen einschließt und diese um die Werte ergänzt, die für den Umgang mit den Themen auf der aktuell entwickelten Ebene erforderlich sind.

Wird einem gegenwärtig individuell oder gesellschaftlich relevantem ‚Thema‘ ein adäquates ‚Schema‘ zur Seite gestellt, so nenne ich diese Kombination aus Thema und Schema nun ein ‚kontextstimmiges Meme‘ oder auch eine ‚passende Gegenwarts-Bewusstheit‘. Wird jedoch einem Thema ein für seine Bewältigung unpassendes Werte-System – ein unpassendes Meme – zur Seite gestellt, so bewirkt dies eine Eskalation in Form von Problemen, Konflikten, Hindernissen oder auch Krisen.

Arbeiten wir uns nun mit einer ersten Skizze an die von Graves destillierten Werte-Systeme heran:

Die ersten beiden Werte-Systeme, die von Graves identifiziert wurden, sind das Instinkt-System und das Tribal-System. Diese beiden Systeme sind stark von den physischen Bedürfnissen und den Anforderungen der Überlebenssicherung geprägt und betonen die Bedeutung von Sicherheit, Schutz und Zugehörigkeit.

Die nächsten drei Werte-Systeme sind das Autoritäts-System, das Leistungs-System und das Selbst-Verwirklichungs-System. Diese Systeme betonen jeweils die Bedeutung von Hierarchie, Erfolg und persönlichem Wachstum und Entfaltung.

Die bislang letzten drei Werte-Systeme, die von Graves beschrieben wurden, sind das Integrative-System, das Holistische-System und das Systemisch-Integrale-System. Diese Systeme betonen die Bedeutung von globaler Zusammenarbeit, umfassendem Verständnis und Integration aller Perspektiven.

Graves betonte, dass diese Werte-Systeme nicht hierarchisch angeordnet sind, sondern dass sie sich in einer dynamischen Wechselwirkung und Entwicklung [vergleiche dazu die Terminologie von Wilber: ‚Einbeziehen‘ und ‚Transzendieren‘] befinden. Individuen und Gesellschaften können sich von einem System zum anderen entwickeln, je nach den Anforderungen und Herausforderungen, denen sie begegnen.

2023 – neu: 5. Defizienz und die Kritik am Status Quo der Wilber’schen Theorie

Zahlreiche philosophische Denker wie Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Auguste Comte, Herbert Spencer oder der in den letzten Texten bereits genannte Jean Gebser haben Beiträge zur Erklärung gesellschaftlicher Wandlungs- und Entwicklungsprozesse geleistet. Der unter anderem von Gebser ins philosophische Feld geworfene Begriff der Defizienz postuliert dabei eine besondere gesamtmenschliche Fähigkeit. Sie besteht in meiner Anschauung darin, dass eine große Gruppe von Menschen [zum Beispiel die deutsche Gesellschaft] mit ihren zahllosen Einzelinteressen dennoch in der Lage ist, eine Fortschreibung des an seine Kapazitätsgrenzen geratene ‚Mehrheitsbewusstseins‘ als ‚Irrtum‘ anzuerkennen und in dessen Folge in die Bereitschaft zu investieren, ein den Anforderungen an die Zukunftsfähigkeit besseres gesamtmenschliches Bewusstsein schöpferisch herauszuformen.

Wann die Summe der kritischen Faktoren erreicht wird, die das Platzen einer Defizienzblase begünstigt, stellt natürlich das Forschungsinteresse jeder Einzelwissenschaft entlang der gesamtgesellschaftlichen Wissensentwicklung dar. Und nicht erst seit gestern wissen wir, dass das Platzen einer dieser Blasen Wechselwirkungen in alle anderen zeitigt. Platzt eine Blase, so ist das mit ihr unmittelbar verbundene System an seine Grenzen gekommen. Zuweilen und frühzeitig erkannt, kann eine solche Grenze entlastet werden, zuweilen aber platzt sie und hinterlässt chaotische Zustände. Die Grenzen des Wachstums, die Grenzen des Wissens, die Grenzen der Freiheit, die Grenzen der Verantwortung, die Grenzen der Werte, die Grenzen des Lebens oder – im Kontext dieser Beiträge rund um das Theoriegebäude von Ken Wilber – die Grenzen des Bewusstseins: An diesen und vielen weiteren Grenzen spielen sich Prozesse ab, in denen es letztlich für Wilber um die Kunst des Einbeziehens und Transzendierens geht.

Der einzelne Mensch, der sich betroffen fühlt von den herumfliegenden Fetzen einer oder mehrerer – womöglich bislang als stabil empfundenen – Facetten des eigenen Lebensmodells sieht sich zahllosen Fragen konfrontiert. Eingefärbt von der individuellen psychischen Verfassung fragen sich Menschen, ob und was sie eingedenk der neuen [Grenz-]Situation zu erdulden haben, ob und für was sich zu kämpfen lohnt oder ob es günstiger ist, das Lebensmodell partiell zu verabschieden, indem die Auseinandersetzung mit dem Neuen gemieden oder verdrängt wird.

Will man sich von diesen drei psychischen ‚Auswegen‘ das eigene Leben nicht alles vorschreiben lassen, so bieten sowohl Frankl als auch Wilber einen anderen Weg: Den Weg der Transzendenz. Einmal darin geübt, diesen – nur Menschen möglichen – Weg zu gehen, fällt es leichter anzuerkennen, dass jedes Platzen einer Bewusstseins-Defizienzblase mit Gewinnen und Verlusten einhergeht, der Glaube an ‚bessere‘ Zeiten also ebenso hinderlich ist wie der Glaube daran, dass früher alles besser war. Das, was sich an die Stelle dieser Glaubenssätze stellt, ist die jedem Menschen mögliche neue Balancierung von Freiheit und Verantwortung. War der Mensch vor dem Platzen der Blase frei, in seinem Leben Felder seiner Verantwortung zu bestimmen, so wird er mit dem Platzen der Blase verantwortlich, neue Felder seiner Freiheit zu entdecken. Gelingt ihm dieser Entwicklungssprung, so hat der Mensch eine Bewusstheit dafür bewiesen, dass ihm daran gelegen war, aus der Defizienz des Gewesesen und Gewordenen heraus in den Gewinn einer neuen räumlichen und zeitlichen Freiheit einzutreten.

Während es nun in der konkreten Anwendung des Gedankenguts von Viktor Frankl im Rahmen der Entwicklungsbegleitung von Menschen zahllose Belege dafür gibt, dass Menschen dieser Perspektivenwechsel gelingen kann, stellt sich die Frage, ob und wie die Integrale Theorie von Ken Wilber mit ihrer Grundidee des ‚Einbeziehens und Transzendierens‘ ihrerseits bereits auf robusten Beinen steht und Menschen Handlungsalternativen aufzeigt, die über die der individuellen psychischen Reaktionen auf das Platzen von Defizienzblasen hinausgehen. Dazu ein Blick in die jüngste Vergangenheit.

Als Wilber 1999 sein Opus magnum ‚Sex, Ecology, Spirituality‘ vorlegte und mit ihm zum Versuch einlud, ohne Rekurs auf eine ‚fertige Theorie‘ in einem weltoffenen Diskurs alle Erkenntnisse natur-, human- und geisteswissenschaftlicher Denkansätze mit all ihren prämodernen, modernen und postmodernen Weltsichten von Ost bis West und Nord bis Süd in ein zusammenhängendes Gesamtgebäude zu integrieren, war die Euphorie mancherorts überwältigend. Endlich traute sich jemand, dem ewigen Treiben nach mehr Wissen im allertiefsten Detail einen alternativen Zugang zur Welt zur Seite zu stellen. Und da neue Ideen meist nur dann Chance auf Gehör haben, wenn sie kommunikativ breit ausgerollt werden, fanden sich schnell Protagonisten, die die Weichen stellten, um eine kritische Masse zu erreichen  – und [sic!] mit dieser Masse auch Geld zu verdienen. Wer damals dieser Entwicklung folgte, konnte den Eindruck gewinnen, dass konventionelle Denkmuster immer stärker in Frage gestellt wurden und dies nicht nur auf der Basis von Entwicklungssprüngen in Einzelwissenschaften oder einzelnen Gesellschaftsbereichen. Es schien ein Ruck durch die Welt zu gehen.

Die seismische Welle erreichte auch mich. Auf Einladung nahm ich teil an der Konzeption der vom Bundesland Niederösterreich initiierten Internationalen Zukunftsakademie in Wien Ende der 1990er Jahre, ich besuchte verschiedene Lehrgänge im integralen Denken und studierte einiges an Literatur im Kontext der neuen Bewegung. Nach und nach – und bis heute – wurde Ken Wilber Raum in meinen Coachingausbildungen als auch im konkreten Coaching von Führungskräften gegeben – jedoch längst nicht in dem Umfang, der möglich gewesen wäre. Die Gründe meiner – bisherigen – Zurückhaltung will ich knapp umreißen und damit auch meine – weiterhin – kritische Position. Sie besteht im Kern darin, dass es in meiner Wahrnehmung den an sich aberwitzigen Prozess im Kreis der Integralen Community gibt, das, was unter ‚integralem Denken und Handeln‘ verstanden werden soll, mit einer ähnlichen Detailverliebtheit zu erforschen wie ebendiese als Ausgangskritik für die Theorie im Raum stand. Die Folge dieses ‚Energieflusses‘ ist bis heute für mich spürbar und ist mit der Formel ‚Erkenntnisgewinn statt Handlungsraumvergrößerung‘ beschrieben. Bis heute vermisse ich insbesondere – und ich hoffe, dies beruht nur auf meinen eigenen blinden Flecken – eine ‚integrale Lautstärke‘ von Anwendern, die über die Defizienzblasen im Kontext mächtiger globaler Erschütterungen sprechen. Verenge ich den Blick auf die Äußerungen derjenigen gesellschaftlichen Elite, die ich mit meinen Ressourcen verarbeiten kann, so fehlt mir jeglicher ausgesprochener Brückenschlag zwischen integraler Theorie und Themenbergen wie Klimawandel, Armutsbekämpfung, der Idee der Vereinigten Staaten von Europa, Bildungspolitik bis hin zu vermeintlich ‚unmittelbareren‘ Problemfeldern wie Fachkräftemangel, Verkehrsinfrastruktur, Sterbehilfe und vielem mehr. Da, wo hierzulande dieser Brückenschlag vielleicht am ehesten zu erwarten wäre, an den deutschen Hochschulen, findet sich der Diskurs über Ken Wilber überhaupt nicht [zumindest teilt er sich damit die ärgerliche curriculare Ignoranz, die auch dem Begründer der Dritten Wiener Schule für Psychotherapie, Viktor Frankl, permanent zuteil wird].

Es entsteht so die Frage, wann die spezielle Defizienz, die mir offenkundig der Kommunikation von Wilbers Theoriegebäude anhaftet, ihrerseits platzt und sich der Möglichkeitsraum für ihre konkrete Anwendung mit ihren Chancen für die Gesellschaftsentwicklung eröffnet. Weitergedacht stelle ich mir die Frage, wann die Suche nach den eine Anwendung ‚unmöglichmachenden Theorieaspekten‘ zugunsten eines vielleicht ‚nur‘ paretooptimalen Beginns der Theorie-Praxis-Transformation hintangestellt wird. Denn, soweit sind sich die Kritiker einig, unschön sind in Wilbers Denkarchitektur Allgemeinplätze, von ihm als Konsens hingeworfene persönliche Meinungen, eine zuweilen skurrile gurueske – vielleicht den US-amerikanischen Erwartungen an Entertainment entsprechende – Selbstdarstellung, die Nichtberücksichtigung von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen oder auch Quellenverweise, die in unserem Kulturkreis das Prädikat ‚unwissenschaftlich‘ verdienen würden. Diese Mangellage jedoch als ausreichend für die Nichtbetrachtung des Meta-Werkes anzusehen, ist in einer Welt, in der die immer weiterführende Detailbetrachtung auch nicht stets und exklusiv das Mittel der Wahl ist, zumindest frivol.

Blendet man das Imperfekte in Wilbers Gedankengut aus, so lohnt doch allemal, seine Theorie mit konkreten gesellschaftspolitischen wie individuellen Problemstellungen in eine praktische Verknüpfung zu überführen. In meinem eigenen Themenfeld der ‚Individuellen Krisenprävention‘ und den dort erarbeiteten Unterstützungstools hat Wilber bereits seine Spuren hinterlassen. Beim Blick ins Web finden sich weitere, wenn auch nur wenige Anwendungsbeispiele, insbesondere im Kontext der Führungskräfteentwicklung, der Unternehmenskulturanalyse oder des Meetingmanagements. So recht konkret jedoch will der Wilbersche Funken noch nicht auf die Probleme des ‚Menschen-Alltags‘ überspringen. Anlass genug, dass ich im Verlauf der weiteren Beiträge Anregungen zu eben diesem Transfer vorstelle.