Die Logotherapie wurde von Viktor Frankl entwickelt und ist eng mit seiner Biografie verbunden, insbesondere mit seinen Erfahrungen in mehreren Konzentrationslagern. Obwohl er dort Ehefrau und Eltern verlor, konnte er mithilfe seiner bereits zuvor konzipierten Lehre die extremen Belastungen bewältigen. Im Zentrum seines Ansatzes steht der Wille zum Sinn als grundlegende menschliche Ausrichtung.
In den frühen 1990er Jahren stellte Frankls ehemaliger Schüler Alfried Längle ein Konzept vor, das namentlich fast identisch ist, sich inhaltlich jedoch deutlich unterscheidet. Diese Nähe in der Bezeichnung führt bis heute zu Missverständnissen bei Ratsuchenden und Interessenten an einer Fachausbildung zum Logotherapeuten. Das besprochene Buch will diese Unklarheiten beseitigen und eine fundierte Entscheidungsgrundlage schaffen.
Verfasst wurde das Werk von zwei Vertretern der originären Logotherapie nach Frankl. Anna Kalender arbeitet wissenschaftlich am Viktor Frankl Institut in Wien, Alexander Batthyány ist Professor in Budapest und im Vorstand des Instituts tätig. Ausgangspunkt des Buches ist die häufige Verwechslung zwischen Frankls Logotherapie und Existenzanalyse und der von Längle begründeten Psychotherapie, der er die umgedrehte Bezeichnung Existenzanalyse und Logotherapie gab und damit ursächlich die Probleme verantwortet, wenn Menschen unbeabsichtigt einen Ansatz wählen, der nicht ihren Erwartungen entspricht und sie in eine teilweise zum Gedankengut Frankls diametral entgegengesetzte psychotherapeutische Richtung führt.
Der erste Teil des Buches zeichnet die Entwicklung von Frankls Logotherapie nach. Batthyány schildert Frankls Lebensweg, seine Lagerhaft und die Entstehung zentraler Werke, darunter das weltweit millionenfach verbreitete Buch ‚trotzdem Ja zum Leben sagen‘, indem Frankl über seine Lagererfahrungen berichtet. Zudem wird auf die breite wissenschaftliche Rezeption hingewiesen, die sich unter anderem in zahlreichen empirischen Studien und vielen Ehrendoktorwürden zeigt. Inhaltlich hebt Batthyány zentrale Merkmale der Logotherapie hervor, etwa den Vorrang des Sinnwillens, die Annahme menschlicher Freiheit und die Existenz einer geistigen Dimension, die über psychische und körperliche Aspekte hinausreicht. Diese Annahmen stehen im Gegensatz zu deterministischen Sichtweisen anderer Therapierichtungen.
Ausführlich wird der Bruch zwischen Frankl und Längle dargestellt. Längle hatte wesentliche Grundannahmen von Frankls Lehre verändert, was schließlich dazu führte, dass Frankl sich 1991 von der von Längle gegründeten internationalen Fachgesellschaft distanzierte und deren inhaltliche Ausrichtung scharf und zum Teil sogar als anti-logotherapeutisch kritisierte. Während Frankl und seine Schüler diesen Bruch klar benannten, wurde und wird er in Publikationen der von Längle gegründeten Gesellschaft eher relativiert. Batthyány kritisiert, dass trotz tiefgreifender inhaltlicher Abweichungen weiterhin der Eindruck einer engen Nähe zu Frankl erweckt werde. Zudem setzt er sich kritisch mit Längles stark intuitiver Vorgehensweise auseinander, etwa in der Psychosomatik und in der Gesprächsführung, die sich deutlich von Frankls dialogischer Haltung unterscheide.
Im zweiten Teil des Buches arbeitet Anna Kalender die Unterschiede zwischen beiden Ansätzen systematisch heraus. Sie zeigt, dass Frankls Logotherapie auf Sinn, Freiheit und Verantwortung gründet, während Längle zentrale Konzepte verändert hat. Besonders deutlich wird dies im Menschenbild, da in Längles Ansatz die Eigenständigkeit der geistigen Dimension abgeschwächt wird. Auch das Motivationsverständnis unterscheidet sich stark, da der Sinnwille bei Frankl eine herausgehobene Stellung hat, bei Längle jedoch nur eines von mehreren gleichrangigen Motiven darstellt. Kalender macht deutlich, dass gerade Frankls Verständnis erklärt, warum Menschen selbst unter extremen Bedingungen Sinn finden können.
Weitere Differenzen bestehen im Sinnbegriff selbst. Frankl ging von einem objektiven Sinn aus, der in einer Situation entdeckt werden kann, während Längle Sinn subjektiv versteht. Dies führt laut Kalender zu problematischen Konsequenzen, da dadurch auch moralisch fragwürdige Handlungen als sinnvoll gelten könnten. Auch im Umgang mit Leid zeigen sich grundlegende Unvereinbarkeiten zwischen beiden Konzepten.
Insgesamt macht das Buch transparent, wie unterschiedlich der Konflikt öffentlich dargestellt wird und warum eine klare Abgrenzung notwendig ist. Es ermöglicht Interessierten an Therapie oder Ausbildung einen sachlichen Vergleich und unterstützt sie dabei, eine informierte Entscheidung zu treffen. Darüber hinaus führt es prägnant in Frankls Denken ein und greift grundlegende ethische Fragen auf, etwa ob Sinn und Werte objektiv bestehen oder beliebig festgelegt werden können. Damit bietet das Werk nicht nur Orientierung innerhalb der Logotherapie, sondern auch eine fundierte Auseinandersetzung mit zentralen philosophischen Fragen.





