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Haben Sie eigentlich Ihren Sinn im Leben gefunden? – Teil 1

… wurde ich in den vergangenen Jahren immer wieder gefragt. Ich erzählte dann immer wieder kurz von einem Ereignis, das mich 2004 zu Frankl führte, verbunden mit einer völlig neuen beruflichen Ausrichtung. In meiner eigenen biografischen Arbeit entdeckte ich dann weitere Momente, ungeplant, unerhofft, unerwartet, die zu Veränderungen in meinem Leben führten, die ich seit meiner Ausbildung in der originären Logotherapie und Existenzanalyse in den Kontext ‚objektiver Sinn‘ rücke. Andererseits gab es eine Fülle hausgemachter, selbst- und fremdbestimmter Ziele, von denen gar nicht einmal wenige durchaus erfolgreiche Ergebnisse zeitigten. Sie zu erreichen machte für mich Sinn, sie waren ’subjektiver Sinn‘.

Zum philosophiegeschichtlichen Gelehrtenstreit, ob Sinn nun objektiv oder subjektiv sei, habe ich mich so positioniert: Der objektive Sinn ist wesentlich, der subjektive Sinn ist wichtig. Damit will ich sagen, beide Perspektiven sind für mich gültig, aber es gibt gravierende Unterschiede. Objektiver Sinn braucht die Fähigkeit des Menschen, ihn in seiner Lebenswelt wahrzunehmen, wenn er sich zeigt (siehe hierzu auch den Teil 2 zu diesem Beitrag, der Anfang 2026 erscheint). Rückblickend habe ich diese Fähigkeit einige Male einsetzen können, und ich weiß nicht, wie oft ich Sinnanrufe dieser Qualität aus welchen Gründen auch immer nicht wahrgenommen habe und womöglich Sinnloseres tat als mir der verstrichene Moment angeboten hätte.

Subjektiver Sinn dagegen braucht die Fähigkeit des Menschen, sich mit seiner Lebenswelt auseinanderzusetzen und absichtsvoll Prozesse in Gang zu setzen, die etwas aus seiner Sicht Erstrebenswertes zuwege bringen sollen. Sich für Ziele dieser Art einzusetzen, gelang mir in meinen vierzig Berufsjahren durchaus eher mehr als weniger, aber es gab durchaus Empfindungen des Ziel-Zweifels bis hin zur Tilgung von Zielen, deren Erreichen mir irgendwann keinen Sinn mehr machten.

Während die Wahrnehmung eines objektiven Sinns unmittelbar nicht messbar ist, lässt sich zum Beispiel die individuelle Motivationsstärke, die eine subjektiv sinnvolle Zielerreichung bedingt, durchaus messen. Ebenso mit psychometrischen Verfahren messbar ist das Empfinden einer Demotivation, in der eine Person das von ihr angestrebte subjektive Ziel als unsinnig erlebt.

Ganz praktisch gesprochen biete ich meinen Gesprächspartnern folgende Hypothesen zur Reflexion an:

Im Leben kommt es auf die stimmige Relation von objektivem und subjektivem Sinn an.
Dazu vier, quasi in vivo unvorstellbare Perspektiven:

– Angenommen, eine Person nimmt nie einen objektiven Sinn wahr und zugleich setzt sie sich überhaupt keine eigenen Ziele, dann wird sie sich zum Ende ihres Lebens die Frage stellen: War es richtig, gut oder schön, dieses Leben gelebt zu haben, überhaupt gelebt zu haben?

– Angenommen, sie nimmt objektiven Sinn wahr, setzt sich jedoch überhaupt keine eigenen Ziele, dann wird sie fragen: Fühlt es sich für mich richtig, gut oder schön an, gelebt zu haben, ohne dass es ein spezifisch individuelles Leben wahr, das ich lebte?

– Angenommen, eine Person nimmt nie einen objektiven Sinn wahr, setzt sich hingegen aber eine Anzahl ihr wichtiger Ziele. Dann wird sie sich zum Ende ihres Lebens die Frage stellen: War es richtig, gut oder schön, diese Ziele für mich lohnend verfolgt zu haben?

– Und angenommen, eine Person nimmt objektiven Sinn wahr und setzt sich zudem darüber hinaus subjektiv sinnvolle Ziele. Dann wird sie fragen: Hat das Verhältnis gestimmt, habe ich alles aus meinem Leben gemacht, was ich aus ihm hätte machen können?

Objektiver Sinn trägt das Leben nachhaltiger als subjektiver. Das, was einem Menschen subjektiv Sinn macht, kann situativ schnell von einem anderen wichtigeren, subjektiv gemachten Sinn abgelöst werden. Ein als wesentlich gefühlter objektiver Sinn kann zu einer Lebensaufgabe transformiert werden, subjektiver Sinn stellt dagegen eher eine Lebenserwartung dar. Beim ersten stellt das Leben die Person vor eine Aufgabe, beim zweiten hat die Person an ihr Leben Erwartungen, dass sich Bedingungen ergeben werden, damit sich gemachter subjektver Sinn in Form einer Zielerreichung verwirklichen lässt.

Kann subjektiv gemachter Sinn nicht verwirklicht werden, die Person hat jedoch einen objektiven Sinn im Leben, den sie verwirklichen kann
=> Glück und keine Krise

Kann subjektiv gemachter Sinn verwirklicht werden, die Person hat jedoch keinen objektiven Sinn im Leben, den sie verwirklichen kann
=> Zufriedenheit und Krisenlatenz

Weder objektiver noch subjektiv gemachter Sinn
=> Empfinden von Unglück durch existenzielle Sinnkrise

Objektiver und subjektiver Sinn
=> Riesenglück

Wird objektiver Sinn geistig wahrgenommen (das Leben erwartet von der Person eine Stellungnahme auf Basis der ihm per se verfügbaren Freiheit und Verantwortung), dann wird dieser Sinn in einem Folgeschritt mental – ich nenne dies auch gehirngeistig – transformiert (die Person fragt sich dann zum Beispiel, ob (Kompetenz) und wie (Methodik) sie nun umsetzen kann, wozu sie Stellung bezogen hat …). Subjektiver Sinn hingegen kann nicht in objektiven Sinn transformiert werden.

Zum Jahresende eine Anregung zur Reflexion:
Stellen Sie sich Ihre persönliche Lebenswaage vor. Legen Sie in die linke Schale eine oder mehrere Kugeln für den objektiven Sinn in Ihrem aktuellen Leben und in die rechte analog die Kugeln für jeden von Ihnen subjektiv gemachten Sinn. Spüren Sie eine Offenheit, an dieser Relation im neuen Jahr möglicherweise etwas zu verändern? Bei Fragen dazu können Sie mir gerne eine Mail schreiben.